Montag, 6. Februar 2017

Von der Abschaffung von Religion und Kultur

Werden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los?
Die Advents- und Weihnachtszeit ist vorbei, Fasnacht, Fastenzeit und Ostern stehen vor der Tür. Auch wenn viele unserer Schulkinder nicht (mehr) praktizierende Christen sind, prägen solche Zeiten den Alltag, sei es in Form von Strassenbeleuchtung, Omnipräsenz saisonaler Produkte in den Läden oder auch in Form von Geschenken.

Weshalb läuten um 7, um 11 und nachmittags täglich die Kirchenglocken? Weshalb gibt es Fasnacht? drei Tage frei an Ostern? Geschenke an Weihnachten? Wie kommt es, dass der Nikolaus den Kindern Gritibänzen bringt? Das alles erlebt das Kind mehr oder weniger intensiv. Bisher war das auch in der Schule ein Thema - je nach Kanton als Glaubensvermittlung oder eher sachlich (etwa Religion und Kultur im Kanton Zürich). Aber überall gab es ein Primat des Christentums als traditionelle oder ursprüngliche Leitreligion in unseren Breitengraden, als diejenige Religion, welche Kultur und Gesellschaft geprägt haben und immer noch prägen wie keine andere. Mit dem neuen Lehrplan 21 ändert sich dies nun aber massiv.

Daniel Kummer hat den künftigen Lehrplan analytisch durchforstet und erschreckendes festgestellt. Die meines Erachtens wesentlichsten Stellen habe ich farblich markiert:

1. Welche Begriffe kommen vor?
Das Wort ´christlich´ kommt genau zweimal vor. Das erste Mal mit Bezug auf die Bundesverfassung und die kantonalen Volksschulgesetze. Die Schule soll sich an folgenden Werten orientieren: „Sie geht von christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen aus. Sie ist politisch und konfessionell neutral.“ (Einleitung Bildungsziele) Das zweite Mal wird im Fach NMG gefordert, dass Schüler befähigt werden, „Gemeinsamkeiten und Bezüge zwischen Judentum, Christentum und Islam an Beispielen zu erläutern.“ (NMG. 12.5.g) Ansonsten gibt es keinen weiteren Bezug zu den unter Bildungszielen erwähnten Werten. Wie soll das gehen, wenn die Schule von christlichen Werten ausgehen soll?

Personen der Bibel, die in vielen Lehrplänen bisher vorkamen, ‚Mose‘, ‚Abraham‘, ‚David‘, sowie der Begriff ´Schöpfung´ kommen im gesamten Lehrplan nirgends vor. ´Jesus´ wird im Fachbereich NMG nur insofern erwähnt, dass die Schüler zum Leben bedeutender Gestalten aus verschiedenen Religionen (insbesondere Jesus, Mohammed, Buddha) Geschichten erzählen können. (NMG.12.2.b) Auf der Oberstufe sollen die Schüler die Bedeutung zentraler Gestalten aus den Religionen kennen, insbesondere „Jesus, Mohammed und Buddha anhand von Überlieferung, Darstellung und Verehrung< erläutern sowie aus weiteren Perspektiven betrachten (historisch, ästhetisch, kulturell).“ (ERG 5.1) Das sind die beiden einzigen Bezüge zu Personen unserer jüdisch-christlichen Vergangenheit.

Die ´Bibel´ kommt ein einziges Mal vor: „Die Sch. können (auf der Oberstufe) erläutern, wie heilige Schriften (insbesondere Tora, Bibel, Koran) überliefert wurden (z.B. mündliche, schriftliche Überlieferung, Handschriften, Buchdruck, Übersetzung) und wie sie verwendet werden (Rezitation, Meditation, Lesung, Auslegung).“ ERG. 5.1.b ‚Kirche‘ kommt nur in Zusammenhang mit Musikerleben und Kunstbetrachtung (je 2x), sowie bei den didaktischen Bemerkungen vor.

Die für unsere Kultur prägenden Feste des Kirchenjahres kommen wie folgt vor: ‚Palmsonntag‘, ‚Karfreitag‘, ‚Ostern‘, ‚Auffahrt‘, ‚Pfingsten‘, ‚1. August‘, ‚Bettag‘, ‚Weihnachten‘ werden im gesamten Lehrplan nicht erwähnt. 

Nun könnte man vermuten, dass die Kompetenzen ja inhaltsunabhängig formuliert werden und es lediglich Verweise auf ‚Feste‘ gibt. Je nach Einschätzung der Lehrperson können dann passende Feste ausgewählt werden: „können kulturelle Unterschiede (Herkunftsländer der Mitschülerinnen und Mitschüler) und Ähnlichkeiten beobachten und beschreiben (z.B. Alltagsrituale, Feste, Traditionen).“ FS1F.6.C.1.a Ist damit ausreichend auf unsere Kultur verwiesen? „können von Festanlässen in der Familie oder in der Umgebung erzählen und Anteil daran nehmen, wie andere Feste feiern.“ NMG.12.4.a Damit wird die Auswahl der Feste der schulischen Zufälligkeit Preis gegeben. Ein Lehrplan sollte mehr bieten! Wenn wir unsere Kinder so bilden wollen, dass sie unsere Kultur verstehen, braucht es den Bezug zur jüdisch-christlichen Überlieferung. Ein Kernpunkt jeder Bildung ist, dass man das, was uns geprägt hat, kennt?

2. Fehlen zentrale Inhalte im religiösen Bereich, weil der LP21 kompetenzorientiert ist?
Ein Blick auf andere Fächer zeigt ganz deutlich, dass an vielen Orten einerseits konkrete Inhalte aufgeführt werden und auch eine klare Ausrichtung auf verbindliche Werte eingefordert wird. Hierzu vier Beispiele:
„können darlegen, wieso die erste Hälfte des 20. Jahrhundert als Zeitalter der Katastrophen bezeichnet wird (insbesondere Erster und Zweiter Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, Holocaust unter Berücksichtigung von Diskriminierungen und Rassismus sowie des Phänomens Gewalt).“ (RZG.6.3.b)
„können die Geschichte von ausgewählten Institutionen und Menschen erzählen, die sich im 20. Jahrhundert für Freiheit, Frieden, Wohlstand, Gerechtigkeit oder nachhaltige Entwicklung einsetzten (z.B. UNO, Rotes Kreuz, Bertha von Suttner, Martin Luther King, Mutter Theresa, Nelson Mandela, Mahathma Ghandi).“ (RZG.6.3.c)
„kennen ausgewählte Schutz- und Verhaltensregeln zu Pflanzen und Tieren (z.B. Tierschutz, geschützte Pflanzen, Naturschutz) können daraus das Verhalten in ausgewählten Lebensräumen in der Wohnregion ableiten.“ (NMG.2.6.g)
kennen ihre Rechte im Umgang mit Sexualität (insbesondere Schutzalter, sexuelle Orientierung, Schutz vor Abhängigkeit und Übergriffen) und können ihre Verantwortung im Umgang mit Sexualität einschätzen.“ (ERG.1.3.b)

So sieht Bildung normalerweise aus. An vielen Orten wollen die Lehrplanverfasser Einstellung und Verhalten  der Schüler prägen. Werte werden nicht zur Disposition gestellt, sondern es wird eine klare Richtung der Bildung festgelegt. Diese Klarheit fehlt dort, wo an unsere jüdisch-christliche Kultur angeknüpft werden soll! Weshalb?

3. Ist der LP21 doch auch ein Stoffplan?
Das Wort ‚insbesondere‘ bei verschiedenen Kompetenzbeschreibungen weist gemäss dem Kapitel ‚Überblick und Anleitung‘ S. 7f darauf hin, dass die nachfolgenden Inhalte verpflichtend sind. Man hat also ein Instrument eingeführt, mit dem man auch Inhalte verpflichtend machen kann. Ist es nicht erstaunlich, dass man einerseits einen kompetenzorientierten Lehrplan verfasst, aber dann doch eine Fülle an verbindlichen Inhalten einfügt und sich so wieder einem Stoffplan annähert? Vermutlich können gewisse Kompetenzen nur an gewissen Inhalten gelehrt und gelernt werden. Paradox wirkt es, wenn in der Einführung steht:
„Beschrieben Lehrpläne bis anhin, welche Inhalte Lehrpersonen unterrichten sollen, beschreibt der Lehrplan 21, was Schülerinnen und Schüler am Ende von Unterrichtszyklen können sollen. An die Stelle von Lernzielen und stoffinhaltlichen Vorgaben treten fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schülern in den Fachbereichen erwerben.“ (Einleitung S. 7)

Wie kommt es dann, dass rund 650 konkrete Inhalte1 (plus verschiedene Inhalte in Klammern) im Lehrplan als verbindlich festgelegt werden? Insofern macht es nicht Sinn, dass im religiösen Bereich zentrale Themen unserer Kultur nicht einmal als Beispiele aufgeführt werden und so die inhaltliche Auswahl ganz der Beliebigkeit anheim gestellt wird.


4. Wie viel Distanz braucht es zur Religion?
Schule will ja bilden, das bedeutet, dass sie in der Innenwelt der Kinder etwas bewirken will. Diese Absicht drückt sich im Lehrplan unterschiedlich intensiv in den Kompetenzen aus. Aber im Religionsbereich wird bereits auf der Unterstufe eine distanzierte und von zentralen Elementen des christlichen Glaubens gelöste Perspektive sichtbar. Nicht mehr der christliche Glaube steht im Fokus als primäre Religion, sondern die Religionen. Überall im Lehrplan wird nicht von Religion sondern von Religionen gesprochen: „können an Beispielen beschreiben, wie Religionen menschliche Grunderfahrungen rituell gestalten.“ (NMG.11 2c)

Im ganzen Lehrplan fällt der Primat des Christentums von Anfang an weg! Dies war bisher in keinem Kanton der Fall, falls Religion irgendwie thematisiert wurde. Auch im Kanton Zürich, der das Fach ‚Religion und Kultur‘ eingeführt hat, wird der christlichen Religion eindeutige Priorität eingeräumt. In dem Sinn vollzieht der LP21 eine klar Abkehr von bisherigen Konzepten! Wollen wir das?

Als zweites Merkmal fällt der distanziert-beschreibende Zugang zum Phänomen ‚Religion‘ auf. Dies mag  auf der Oberstufe angemessen sein, aber in der Primarstufe ist das sowohl entwicklungspsychologisch als auch lernpsychologisch unpassend. Die Perspektive des sich entwickelnden und durchaus auch glaubenden Kindes ist nirgends im Blick.


Es bleibt zu fragen, ob wir in der Schweiz einen solchen Umgang mit unserer christlich geprägten
Kultur wollen, oder ob das nicht an der kindlichen und gesellschaftlichen Realität vorbei geht und in dem Sinne nicht konsensfähig sein wird. Wir brauchen doch eine Schule, die auf eine Gesellschaft vorbereitet, in der Kinder auch religiöse Phänomene wertschätzen, verstehen und damit umgehen lernen!

1 Kommentar:

  1. Hallo,
    hier schreibt eine nichtreligiöse Lehrerin aus Norddeutschland. Für mich war es eine neue, irritierende Erfahrung, als ich nach der Ausbildung in einer stark katholisch geprägten Region anfing zu arbeiten. Für mich ist die Trennung von Staat (Schule) und Kirche nicht schwierig, sondern selbstverständlich. Daher verstören mich Kreuze in Klassenzimmern, Schulgottesdienste und Morgengebete. Bei zunehmender Heterogenität der Schülerschaft und im Allgemeinen abnehmenden religiösen Aktivitäten empfinde ich es auch Bevorzugung einer Gruppe von Menschen, wenn auf nur eine Religion eingegangen wird. Ich finde es richtig, dass über die verschiedenen Religionen informiert wird. Ich feiere die Feste wie Ostern und Weihnachten als Familienfeste im Jahreskreis. Ich lese die Weihnachtsgeschichte vor, aber auch Frau Holle. Wir gehen die Kirche anschauen, wie wir auch eine Ritterburg besichtigen. Ich bringe den Kindern moralische und ethische Werte nah, weil ich sie notwendig für ein menschliches Miteinander halte.
    Glaubensvermittlung gehört für mich in die Familie, nicht in die Schule. Von daher finde ich den Plan sehr modern. Aber ich muss ja nicht danach unterrichten.
    Liebe Grüße
    Heike

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